|
Radio C -
Kultur und Wissenschaft in Bonn
Juni Di.
12.06. 20.00 Radio Bonn/SU
1. Musik: „Sincere“ MJ Cole (Sincere)
2. Musik: „Le Poinconneur des lilas“ Serge Gainsbourg
(Vol. 2 Master Serie)
„Vatel“ und „Russische Hochzeit“
Peter: Jürgen, was erfreut denn zur Zeit die Herzen der Bonner Kino-Besucher
doch nicht etwa immer noch „Brot und Tulpen“?
Jürgen: Nein, man kann es kaum glauben, aber der Druck auf „Brot
und Tulpen“
hat nach gelassen. Relativ weit vorne in der Gunst der Zuschauer stehen
zwei
Filme, die seit Anfang des Monats in den Programmen sind.
Der französische Kostümfilm „Vatel“ von Roland Joffé
mit Gérard Depardieu
und die russische Komödie „Russische Hochzeit“
Peter: französischer Kostümfilm mit Gérard Depardieu, - da hofft
man das es so
ein mitreißender Film sein könnte wie „Cyrano de Bergerac“.
Jürgen: Ja, und solche Hoffnungen werden nicht enttäuscht, denn
der wohl
berühmteste Film mit Gérard Depardieu von Jean-Paul Rappeneau diente
Roland
Joffé sichtlich als Vorbild. Wie in „Cyrano de Bergerac“ geht es auch
in „Vatel“
um einen alten Haudegen, der in einen Konflikt zwischen Liebe zu einer
viel
umworbenen Frau und Treue gegenüber seinem Dienstherren dem Prinzen
Condé
gerät. Diesmal allerdings spielt Gérard Depardieu keinen Musketier
sondern den
historisch belegten Hofkoch eines französischen Prinzen zur Zeit
Ludwig des
XIV., der von seinen Zeitgenossen als Logistik Genie und Koch gleichermaßen
gefeiert worden. Als ihn sein Fürst, dem Vatel treu ergeben ist an,
seinen König
beim Karten Spiel verspielt, muss Vatel erkennen, das er der König
seiner
Küchen nur ein besserer Sklave seiner Herrschaften ist.
„Vatel“ ist ein leinwandsprengendes Festmal für Augen und Herz.
Peter: „Russische Hochzeit“ ist das der volkloristische vielleicht
etwas burleske
und schnapsselige Film den der Titel vermuten läßt?
Ja, wer „Underground“, „Schwarze Katze, Weißer Kater“ von Emir Kusturica
oder „Luna Papa“ mochte, wird hier sicher auf seine Kosten kommen.
„Russische Hochzeit“ von Pawel Lungin erzählt die Geschichte der
schönen
Tanja, die nach Jahren in der Stadt in ihr Dorf zurückgekehrt ist
und am zweiten
Tag beschließt ihre ehemalige Jugendliebe Micha zu heiraten.
Dann aber bricht das Caos aus, die Mienenarbeiter bekommen seit 6 Monaten
zum erstenmal wieder Lohn und Schnaps, die Werkskantine hat einen Großen
Fisch zu viel und möchte ihn dem Brautpaar offerieren, der Vater
des Bräutigams
möchte sparen nach dem Motto: Frikadellen tun es auch. Stunden vor
der
Hochzeit muss Micha wegen eines Mißverständnisses ins Gefängnis
und kommt
nur auf Kaution für die Feier frei. Und die Intrigenspiele von Bürokratie
und
Polizei schweben wie ein Damoklesschwert über der Feier die dann
irgendwann
doch stattfindet. Regisseur Pawel Lungin hat viel unterhaltsames Caos
um die
Hochzeitsfeier seiner Protagonisten inszeniert und man braucht eine Weile
bis
man begreift, das all das burleske Treiben nicht allein unterhalten soll,
sondern
Ausdruck von durch die Gesellschaftlichen Veränderungen in Russland
entstandenen tiefen Brüchen und Unsicherheiten in den Persönlichkeiten
von
Tanja und Micha ist. Bis die Hochzeit dann am Ende wirklich stattfinden
kann
müssen erst einige zum Teil bitter Wahrheiten akzeptiert werden.
3. Musik: „Grasshopper“ Terry Hoax (Splinterproof)
„BlackBox BRD“ und „Intimacy“
Peter:. So nun aber zu den wirklich neuen Filmen. Du hast mir gerade,
als die
Musik lief gesagt, dass im Juni zwei ganz außergewöhnliche
Filme in die Kinos
kommen die schon seit Wochen und Monaten durch die Presse geistern.
Jürgen:. Ja, in diesen Tagen kommen zwei absolut herausragende Filme
in die
Kinos, die Rede ist von der Dokumentation "Black Box BRD" von
Andreas
Veiel und dem Beziehungsdrama „Intimacy“ von Patrice Chereau die Freunde
eines anspruchsvollen Films meines Erachtens nach nicht verpassen sollten.
Peter: über „Black Box BRD“ konnte man schon viel in den Zeitungen
lesen,
das ist eine Dokumentation über den 1991 bei Bad Homburg ermordeten
Vorstandssprecher der deutschen Bank, Alfred Herrhausen und den 1993 in
Bad
Kleine erschossenen mutmasslichen Terroristen Wolfgang Grams.
Wie geht das, wie bekommt man solche Positionen in einen Film.
Nun zunächst einmal, Black Box BRD ergreift keine Position sondern
er läßt nur
Zeugen zu Wort kommen. Die Geschichte des in Bad Kleine erschossenen
mutmasslichen Terroristen Wolfgang Grams wird aus der Sicht seiner Eltern,
seines Bruders und seiner Freunde dokumentiert und die Geschichte von
Alfred
Herrhausen, des Vorstandssprecher der deutschen Bank und eines der
prominenten Opfer der RAF wird aus der Sicht seiner Frau, seiner Freunde
und
Kollegen dokumentiert. Die beiden Biographien haben so gesehen nichts
miteinander zutun außer das Alfred Herrhausen zu dem Teil unserer
Gesellschaft
gehörte, dem der deutsche Linksterrorismus den Krieg erklärt
hatte und Wolfgang
Grams möglicherweise auf der Seite derer Stand die diesen Krieg erklärt
hatten.
Black Box BRD entwickelt eine ungeheure Spannung daraus das durch die
Zeugnisse der Hinterbliebenen die starren Bilder die man von einem Wirtschafts
Boss und einem Terroristen im Kopf hat nach und nach aufweichen und nicht
mehr zu halten sind. Man erkennt, wie weit man selbst von den Feindbildern
geprägt ist, die die beiden Parteien des Krieges Linker Terrorismus
und
Staatsschützender Dienste durch Kriminalisierung und Verteufelung
geprägt
haben. Am Ende von Black Box BRD weiß man nicht mehr welche Seite
das
Fass zum überlaufen gebracht hat. Was deutlich wird ist die Irrationalität
eines
bewaffneten Kampfes und die Irrationalität und Fatalität der
dazugehörigen
Feindbilder.
Andreas Veiel (Balagan, Die Überlebenden). Der beste Dokumentarfilm
seit langem. Es geht um unsere Gesellschaft und um die Wunden und
Fragen die der deutsche Links Terrorismus hinterlassen hat. Sehr, sehr
beindruckend.
Peter: Der andere herausragende Film den du angekündigt hast ist
eigentlich seit
dem Frühjahr als Bester Film, Bester europäischer Film und mit
der zur besten
Darstrellerin gekürten Kerry Fox die diesjährigen Filmfestspiele
von Berlin
gewonnen hatte nicht mehr aus der Presse gekommen.
Die Rede ist von „Intimacy“ nach 'Batholomäusnacht' und 'Wer mich
liebt nimmt
den Zug“ der neue Film von Patrice Chéreau.
Warum ist der Film so ins Gerede gekommen.
Jürgen: Nun „Intimacy“ ist vor allem ins Gerede gekommen wegen der
ausgeprägten Sexszenen die den Film seiner Geschichte bedingt in
der ersten
halben Stunde dominieren. Dennoch ist „Intimacy“ kein Erotik-Film sondern
der
Sex bildet eher eine beunruhigende Subebene des Films. Denn „Intimacy“
macht
einmal mehr deutlich Sex ist wenn überhaupt nur eine kurzzeitige
und
oberflächliche Lösung für die Probleme seiner Protagonisten.
Immer Mittwochs treffen sich Jay und Claire, sie klingelt an der Tür,
er lässt sie
ein, sie reden nicht, sie lieben sich. Sie geht wieder, er bleibt verstört
zurück. Sie
wissen nichts von einander. Als Claire eines Tages nicht zum gewohnten
Zeitpunkt kommt, merkt Jay wie wichtig ihm die Treffen mit Claire geworden
sind. Jay beginnt Claire zu suchen und herauszufinden wer sie ist. „Intimacy“
ist
für mich der aufregendste und beeindruckendste Beziehungsfilm seit
dem Nathaly
Baye und Sergi Lopez Film 'Eine pornographische Beziehung'.
Patrice Chéreau hat ein nicht nur in den Dialogen an ein Shakespeardrama
erinnernden Film über die Frage was eine Beziehung ist inszeniert.
Dieses Drama
wird ein Klassiker.
4. Musik: „Quizás, Quizás, Quizás (Perhaps, Perhaps, Perhaps)
Nat King Cole („In the Mood for Love“ Soundtrack)
„Prinzessin Mononoke“ und „Shadow of the Vampire“
Peter: Jürgen, der nächste Film den du vorstellen möchtest
ist ein
Zeichentrickfilm für Erwachsenen. Solche Filme haben es in der Regel
schwer
sich von dem Kinderfilm Verdacht zu lösen. Obwohl es natürlich
Trickfilme gibt,
die auch in Deutschland ein großes Erwachsenen Publikum finden wie
zum
Beispiel „Chicken run - Hennen rennen“.
Der Film von dem wir sprechen heißt "Prinzessin Mononoke"
ist der
erfolgreichste japanische Film aller Zeiten, und war
schon legendär bevor er überhaupt bei uns in die Kinos gekommen
ist.
Jürgen: „Prinzessin Mononoke“
ist ein Zeichentrickfilm von solcher mythologischer Tiefe, dass er von
den
Vereinten Nationen eigentlich als Kulturerbe der Menschheit anerkannt
werden
müsste. Ein absolutes Muss für jeden Kultur interressierten
Menschen. Für
Manga-Fans sowieso. Vom Prinzip geht es um einen Jungen Mann der eine
tödliche Verwundung erfahren hat. Um zu überleben muß
er eine besondere
Pflanze finden, die nur in einem Zauberwald wächst. In diesem Zauberwald
gerät
er zwischen die Fronten eines archaischen Konfliktes. Die Bewohner eines
benachbarten Dorfes wollen den Wald roden. Eine geheimnisvolle junge Frau
Prinzessin Mononoke verteidigt den Wald mit einem Rudel Wölfen und
anderen
Tieren und Geistern des Waldes gegen alle Eindringlinge. Als sie den erschöpften
Jungling im Wald findet, beschließt Mononoke ihm zu helfen.
Aber die in wirklichkeit viel komplexere Geschichte ist kaum nacherzählbar.
Prinzessin Mononoke hat jeden Superlativ verdient.
Der Film ist ein Gesamtkunstwerk, das unerreichbares durch Bilder Geschichte
und Musik erreicht. Ein Ozean aus Phantasie, Mythologie und Ethik.
„Shadow of the Vampire“ Der Schatten des Vampirs
Eine schwarze Komödie über die Dreharbeiten zum Stumfilmklassiker
Nosferatu
von F.W. Murnau.
Außer dem Regisseur Friedrich Murnau weiß niemand das der
Hauptdarsteller
Max Schreck ein richtiger Vampier ist, der nach und nach die ganze Crew
anknabbert. „Shadow of the Vampire“ ist eine brilliante Satire auf den
Vampirismus so manchen Regisseurs, der das letzte aus seinen Darstellern
herausholen will, mit erlesener Besetzung: John Malkovich als F.M. Murnau,
Willem Dafoe als Max Schreck und Udo Kier als Murnaus Produzent.
Vor allem John Malkovich als Friedrich Murnau ist einfach genial.
Peter: Anfang des nächsten Monats, genauer gesagt am Sonntag und
Montag
den 1. und 2. Juli wird es in Deutschland zum ersten mal ein bundesweites
Kinofest geben. Was hat es damit auf sich, Jürgen? Das Kino Fest
hat ein
französische Vorbilder und ist dort ein großer Publikumserfolg.
Jürgen: Das Kino Fest ist vom Prinzip eine Werbemaßnahme für
das Kino und
den Kinofilm. Der Grundgedanke ist der, dass man den Zuschauern die
Möglichkeit geben möchte sich an zwei Tagen im Jahr ihr eigenes
Filmfestival zu
gestalten.
Peter: Das heißt man kann so viele Filme hintereinander sehen wie
man möchte.
Ohne sich zu ruinieren?
Jürgen: Ja, so ungefähr ist es gedacht. Das persönliche
Filmfestival funktioniert
wie folgt: Man entscheidet sich für einen Film am besten Am Sonntag
am frühen
Abend oder Nachmittag und bezahlt für diesen noch den normalen Eintritt.
Man
bekommt dann eine besondere Eintrittskarte, die auch für alle anderen
Kinos der
Stadt gilt. Für alle weiteren Filme die man in diesen Tagen in seiner
Stadt
anschaut braucht man dann nur noch eine Schutzgebühr von 5,- DM bzw.
bei
älteren Filmen von 3,- DM zu bezahlen.
So kann man dann in zwei Tagen alle hier besprochenen Filme, „Black Box
BRD“, „Prinzessin Mononoke“, oder „Shadow of the Vampire“ für nur
ca. 20,-
DM anschauen.
5. Musik: „Docteur Jekyll et Monsieur Hyde“ Serge Gainsbourg
(Vol. 2 Master Serie)
Peter:
Das war es wieder Radio-C verabschiedet sich für einen langen Monat,
in der
zwischen Zeit können Sie alle Informationen dieser Sendungen auf
unserer
Homepage im Internet unter www.radio-c.de nachlesen. Dort finden Sie nicht
nur
Informationen zu den Filmen sonder auch die genauen Titel der Musik stücke,
die
wir heute gespielt haben. Daneben gibt es auch viele interessante Links
um sich
über die Bonner Kinoprogramme zu informieren. Ich wiederhole noch
einmal
www.radio-c.de
In ihrem Radio hören Sie uns wieder am Di. den 10. Juli zur gleichen
Zeit.
Ich bedanke mich bei Florian Höfer in der Technik unserem Studio
Gast Jürgen
Lütz, mein Name ist Peter Goßens und ich wünsche Ihnen
noch einen schönen
Abend.
6. Musik: „Right Here, Right Now“ Fat Boy Slim
Moderation: Peter Goßens
Studio Gast: Jürgen Lütz
Technik: Florian Höfer
radio-c.de
|
|