Radio C - Kultur und Wissenschaft in Bonn

Radio C
Juli 2002
Di., 9. Juli 2002, 20.00 Uhr, Radio Bonn/SU


Moderation: Peter Goßens
Technik: Florian Höfer
Studiogast: Jürgen Lütz

Radio C, eine Produktionsgruppe der Radio-Werkstatt-Lora in Bonn-Beuel.
Produziert im Studio des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik in Bonn Poppelsdorf.

Jingle: "Homenagem a Mongo" Som Tres

1. Musik "A friendly dog in an unfriendly world"
Let your money work for you"
Jim Avignon presents Neoangin
Album: "A friendly dog in an unfriendly world"

2. Musik "Alkohol" Abwärts Album: Compilation: 10 Jahre Normal


Noch hoch in der Gunst der Kinobesucher:
"Elling" von Petter Naess

Die norwegische Komödie "Elling" bezaubert jetzt schon seit gut zwei Monaten die Bonner Zuschauer mit der Geschichte von Elling und Kejll Bjarne, die sich in der Psychiatrie kennenlernen und zusammen im normalen Leben Oslos wieder Fuß fassen sollen. Vor allem dank der Titelfigur Elling werden normale Tätigkeiten wie Telefonieren, Einkaufen und durch ein belebtes Restaurant Gehen auch für den Zuschauer zum echten Abenteuer.
Ein lebenskluges Meisterwerk, über die Anstrengungen gesellschaftlicher Normalität, die uns oft vom Leben abhalten.


"Der Stellvertreter" von Constantin Costa-Gavras

"Der Stellvertreter" von Constantin Costa-Gavras ist die lange erwartete Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Rolf Hochhuth über den SS-Offizier Kurt Gerstein, der alles versucht, um international auf die Judenvernichtung in Deutschland aufmerksam zu machen. Der Film fesselt seit fast sechs Wochen mit spannendem politischem und moralischem Kino, das unter die Haut geht. Ein Film, der durch seine angenehme Zurückhaltung viele Fragen an jeden einzelnen Zuschauer aufwirft.
Auch im Juli bleibt "Der Stellvertreter" der Diskussionsfilm des Monats.


Tanguy - Der Nesthocker von Etienne Chatiliez

"Tanguy - Der Nesthocker", eine französische Komödie von Etienne Chatiliez mit jeder Menge praktischen Ratschlägen für geplagte Eltern, die ihre längst erwachsenen Kinder endlich aus dem Haus haben wollen.


Gerade angelaufen:

"Pollock" von Ed Harris

"Pollock" ist ein beeindruckender Spielfilm über das Leben des amerikanischen Expressionisten und Actionpainters Jackson Pollock.
Der erste Film des renommierten amerikanischen Schauspielers Ed Harris (Truman Show), der auch in der Titelrolle zu bewundern ist.

Wie jeder wirklich gute Künstlerfilm erklärt "Pollock" nichts.
1941 lernt Pollock seine spätere Frau, die Malerin Lee Krasner, in New York kennen. Was sie in dem abstoßenden, völlig unselbstständigen Alkoholikerwrack Jackson Pollock gesehen haben mag, wird erst viel später kurz auf der Leinwand des Kinos und in den Bilder, die der Film zeigt, aufblitzen. Lee Krasner wird ihr eigenes Arbeiten zurückstellen, um Jackson Pollock vor sich selbst zu schützen. Eine Sissifußarbeit, die den Künstler Pollock zu Lee Krasners Entdeckung und zu ihrem wichtigsten, wenn auch vergänglichen Kunstwerk macht.

Neben dem Ehe- und Alkoholkrieg der Pollocks verdankt der Film seine wichtigsten Pointen der süffisanten Beobachtung des amerikanischen Kunstbetriebs mit seinen Kritikern, Galeristen und Sammlern in den 50er Jahren.
Anfang der 50er Jahre war der amerikanische Kunstmarkt noch völlig auf die Klassische Moderne des Vorkriegs Europas eingeschworen. Amerikanische Maler wurden als Nachahmer der europäischen Vorbilder belächelt. Erst Jackson Pollock schaffte für die amerikanische Kunst den Durchbruch. Der Film "Pollock" kommt einem möglichen Moment, an dem Jackson Pollock sich und seiner Generation eine neue Sprache der Kunst entdeckt (und beginnt diese auszuarbeiten), beunruhigend nahe, ohne sich einer anmaßenden und spekulativen Indiskretion schuldig zu machen.
Er zeigt die Entdeckung einer neuen Sprache der Kunst und wie glücklich und souverän der Mensch Jackson Pollock beim Erlernen und Sprechen dieser neuen Sprache ist.

Trotz großer Erfolge bekommt Pollock seine persönlichen Probleme nicht in den Griff, er bleibt ein trinkender Autist. Er wird seinen wichtigsten Halt, seine Frau Lee Krasner, verlieren und damit wissentlich sein eigenes Todesurteil unterzeichnen.

Nachhaltig faszinierend und für den Film einnehmend bleiben die Momente gelöster Freiheit im Gedächtnis, in denen Pollock malt - dann scheint es, sind alle Blockierungen und Verkrampfungen des Mannes der mit sich selbst in einem unerklärlichen Kriegszustand war, wie weggeblasen. Ed Harris Film "Pollock" lässt das Rätsel der Kunst unangetastet, er macht vielmehr deutlich, wie wichtig die Kunst für den einzelnen Kunstschaffenden sein kann. Am Ende wünscht man sich, dass der Mensch Jackson Pollock doch etwas von der Stärke und Würde seiner Bilder gehabt hätte.


"Joint Security Area" von Park Chan Wook

"Joint Security Area" (Grenzsicherheitszone oder Sicherheitsgrenzzone ) von Park Chan Wook erzählt die Geschichte einer verbotenen Soldatenfreundschaft an der international bewachten Grenze zwischen Nord- und Südkorea.

Korea ist ein geteiltes Land. (An dieser Stelle könnte man sich an ein Kapitel der eigenen Geschichte erinnern.) Während der Norden von einer kommunistischen Einparteiendiktatur beherrscht wird, hat sich im Süden ein prowestliches kapitalistisches System etabliert, in dem zur Zeit, mit Japan zusammen, die Fußballweltmeisterschaft stattfindet. Beide Seiten, Nord- und Südkorea verfügen auch heute noch, über wie Kampfhunde gegeneinander scharfgemachte Armeen. Dass all diese Scharfmacherei letzten Endes weniger den Bevölkerungen, sondern nur dem Machterhalt der Scharfmacher selbst dient, hat sich in beiden Ländern noch nicht herum gesprochen. Auch in Südkorea ist die Arme auch heute noch ein Staat im Staate.

Der Film beginnt mit dem Ende, die Geschichte aber beginnt damit,
dass eine nordkoreanische Grenzstreife dem südkoreanischen Grenzsoldaten Lee das Leben rettet. Damit beginnt so etwas wie nachbarschaftliche Normalität zwischen zwei Grenzposten der beiden verfeindeten Brüderländer. Man trifft sich heimlich, hört zusammen Musik, raucht und erzählt sich Geschichten von den Familien. Im Kontrast zu einer permanent spürbaren, bedrohlichen Anspannung ereignen sich poetische Momente von surrealer Leichtigkeit.

Als die verbotene Freundschaft entdeckt wird, gelten plötzlich wieder die alten Regeln des Kalten Krieges. Schmerzlich wird deutlich, dass sich Parolen und Programmierungen, die seit Jahrzehnten auf beide Seiten wirken nicht so einfach aufheben lassen.

Diese Kerngeschichte von "Joint Security Area" ist eingebettet in eine spannende Thriller Rahmenhandlung, die dem Hongkong-Kino verpflichtet ist.
Das erklärt, auch warum der außergewöhnliche Film vom Köln/Bonner Filmverleih Rapid Eye Movies, dem wir so faszinierende Film wie "Ghost in the Shell", "Audition", "The Isle" oder zuletzt "Songs from the second floor" verdanken, in die Deutschen Kinos gebracht wird.

Nach einem rätselhaften Zwischenfall zwischen Nord und südkoreanischen Soldaten in der "Joint Security Area", wird eine neutrale Schweizer Soldatin koreanischer Abstammung mit den Ermittlungen betraut. Zunächst stößt sie auf ablehnendes Schweigen und die Bemühung beider Politischer Systeme den Vorfall für ihre Zwecke auszubeuten. Erst als sie beginnt in der Teilung ihres Heimatlandes eine tiefgreifende, auch ihre eigene Familie betreffende Verletzung ihres Volkes erkennt, bricht einer der beteiligten Soldaten sein Schweigen.

"Joint Security Area" ist ein für das Genre ungewöhnlich poetischer und überraschend amüsanter Politthriller, der zeigt, dass Korea ein geographisch und in Köpfen und Herzen geteiltes Land ist, das noch einen überaus schwierigen Weg bis zur Normalität vor sich hat.


3. Musik: "Wassiye" Habib Koité & Bamada Album: Ma Ya

"Little Senegal" von Rachid Bouchareb F/2001

"Little Senegal" von Rachid Bouchareb ist eine hintergründige und ausgesprochen zurückhaltende Komödie über das Selbstverständnis und Geschichtsbewusstsein von Amerikanern afrikanischer Abstammung.

Was sich im ersten Moment wie ein trockener Bildungsfilm anhört, ist in Wirklichkeit die vielleicht schönste Kinoüberraschung des Monats, denn "Little Senegal" dessen Titel auf ethnisch definierte Stadtteile von New York wie "Little Italy", "Little Odessa" und "China Town" anspielt, bringt spielerisch das Denken an Stellen wieder in Gang, von denen man gar nicht gewusst hat, so dass man dort aufgehört hat zu denken.

Der verwitwete senegalesische Museums-Mitarbeiter Alloune ist Spezialist für die Geschichte der Sklaverei. Im wohlverdienten Ruhestand kann er endlich die Spuren seiner Vorfahren verfolgen, die vor 200 Jahren als Sklaven auf Plantagen in die USA verkauft worden sind. Nach mühseligen Recherchen wird der alte Mann im New Yorker Stadtteil Harlem fündig und beschließt seine neuentdeckten Verwandten zu besuchen, um sie mit ihren afrikanischen Wurzeln zu beglücken. Eine Lektion in Familiengeschichte, die bei den thoughen und auf ihr Amerikaner-Sein stolzen Harlemern zunächst nicht unbedingt auf Begeisterung stößt. Aber Alloune ist hartnäckig und nach und nach kann er seine Verwandten mit ihrer Geschichte vertraut machen. Gleichzeitig aber muss er erkennen, dass die ‚Afroamerikaner', die sich deutlich von den in ihren Augen unzivilisierten ‚Afrikanern' abgrenzen, für den amerikanischen ‚way of life' viel von ihrer Würde preisgeben haben.

Seit "Die Farbe Lila" hat es keinen so bewegenden und beindruckenden Film über die Geschichte und Situation des schwarzen Amerikas mehr gegeben wie "Little Senegal".


"101 Reykjavik" von Balthasar Kormákur Island/2000

In seinem Regiedebüt schildert der isländische Schauspieler Balthasar Kormákur mit einer guten Portion Ironie, wie der Altagstrott eines 30-jährigen Taugenichts durch unerwartete Vaterfreuden durcheinandergewirbelt wird.

Hlynur (der Held von 101 Reykjavik) ist ein isländischer Geistesbruder von "Tanguy". Allerdings ist Hlynurs Mutter weit davon entfernt, ihren geliebten Sohn an die Luft zu setzen. Hlynur tut den ganzen Tag nichts und fühlt sich eigentlich vom Leben um das Leben betrogen, so dass er am liebsten vom Bafög über die Sozialhilfe in die Rente gleiten würde - ein Greis mit 30 Jahren. Hlynur weiß nicht, warum das so ist und es ist ihm auch egal. Seine Mutter denkt, der arme Junge, schwere Kindheit mit einem alkoholkranken Vater und einer Mutter die erst mit 50 Jahren zu ihrer lesbischen Sexualität stehen kann. Ausgerechnet mit Lola, der Lehrerin ihres Flamencokurses, auf die Hlynur auch schon ein Auge geworfen hat, möchte Hlynurs Mutter ein neues Leben anfangen und zur Besiegelung des neuen Aufbruchs soll Lolas Wunsch nach einem Kind mittels ‚one night stand' mit einer Zufallsbekanntschaft in Erfüllung gehen.

101 Reykjavik ist eine lakonische Dreieckskomödie aus Island die viel vom faszinierenden Lokalkolorit der Vulkan-Insel einfängt.



4. Musik "This Room" The Notwist Album: Neon Golden

"8 Frauen" von Francois Ozon F/2001

Der neue Film von Francois Ozon mit Catherin Deneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Virginie Ledoyen, Danielle Darrieux, Ludivine Sagnier und Firmine Richard.

Frankreich in den 50ern. In einer verschneiten Villa trifft sich eine Großfamilie, um die Weihnachtstage miteinander zu verbringen.
Doch anstatt der trauten Bescherung findet man das Familienoberhaupt ermordet in seinem Zimmer. Die Mörderin kann sich nur
unter den acht Frauen befinden, die dem Mann am nächsten standen. AchtFrauen, sie sind schön, temperamentvoll, intelligent, sinnlich, gefährlich und hysterisch, jede ist verdächtig, jede hat ein Motiv, jede birgt ein Geheimnis.

Acht Frauen ist ein geglückter Genre-Mix aus Kammerspiel, Boulevardtheater, Krimi, Screwball-Comedy und Musical in einem. Dass diese gefährliche Mischung beim Zuschauer zündet, ist vor allem den grandiosen Schauspielerinnen zu verdanken. Leider sind alle nach ihren gängigen Rollenklischees besetzt: Catherinw Deneuve als Grand Dame, betrogene Ehefrau des Ermordeten, Isabelle Huppert als die hysterische Zicke, Emmanuelle Béart als naive, aber sinnliche Dienerin, Geliebte des Ermordeten, Fanny Ardant als die mondäne Kokotte, Schwester des Ermordeten, Virginie Ledoyen als die harmlos wirkende, berechnende Tochter des Ermordeten. Dennoch ist dies vielleicht auch der Grund dafür, dass sich die acht Diven des Französischen Films nicht in die Quere kamen und den Regisseur während der Dreharbeiten am Leben ließen.

In jedem Fall lohnt ein Besuch - auch Hitchcock und Agatha Christie hätten an den achtFrauen ihre Freude gehabt.


"Das letzte Kino der Welt" von Alejandro Agresti
Argentinien/F/NL/1998

Eine witzige Parabel über die Auswirkungen des Kinos auf ein kleines patagonisches Dorf.

In einem kleinen Dorf am südlichen Ende von Patagonien gibt es kein Radio, kein Fernsehen, sondern nur ein kleines Kino, dass es den Bewohnern erlaubt, an der medialen Kultur der Weltgemeinschaft teil zu nehmen.

Leider kommen die Filme in diesem ‚Letzten Kino der Welt' immer in einem erbarmungswürdigen Zustand an. Vertauschte und unvollständige Szenen charakterisieren jeden Film. Das hat Auswirkungen. Vor allem die Jugend des Dorfes kann schon nicht mehr in vollständigen Sätzen sprechen, die Gedanken und Bewegungen zeigen plötzliche Sprünge, wie es die Protagonisten der defekten Filme vorführen. Eine selbstgespielte Wochenchronik soll Linderung für die medial Verstörten bringen.

Das Letzte Kino der Welt von Alejandro Agresti ist ein ganz und gar erstaunliches Werk von bezwingender Poesie und voller überraschender Anspielungen. Eine brillante Metapher über den Ursprung der Welt im Niemandsland der Fantasie, ein Werk voller Witz und Originalität

5. Musik "Sentimento" Piccola Orchestra avion travel
Album: Selezione 1990/2000

Nächste Sendung am Di., 13. August, 20.00 Uhr.

6. Musik "At long last" Swell Album: Well ...?

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