Radio C - Kultur und Wissenschaft in Bonn

 

Liebe Hörer und Leser,

vielen herzlichen Dank, eines unserer überraschendsten Weihnachtsgeschenke war eine Auswertung unserer Webstatistik: Wer hätte gedacht, dass diese Seite so gut besucht ist. Bis zu 150 Besucher in der Woche! Scheinbar haben wir ja doch Hörer, die unsere Angebote, seien es Filmbesprechungen und Informationen, Musiktitel und Quellen oder unsere Linkliste zu schätzen wissen.

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Radio C
Januar 2001

Di., 08.01.2002, 20.00 Uhr, Radio Bonn/SU


Moderation: Peter Goßens
Technik: Florian Höfer
Studiogast: Jürgen Lütz


Jingle: "Homenagem a Mongo" Som Tres
1. Musik "Every Time I Look For You" Blink-182 (Soundtrack: American Pie 2)


Radio C - Kultur und Wissenschaft in Bonn, eine Produktionsgruppe der Radio-Werkstatt Lora in Bonn-Beuel.
Aus dem Studio des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik in Bonn Poppelsdorf.

Peter Goßens und Jürgen Lütz stellen die interessantesten Kino-Filme vor, die im Januar in Bonn in die Kinos kommen.

2. Musik "The Garden" Faithless (Album: Sunday 8 PM)


Ins neue Jahr gerettet

Der Januar im Kino: "Herr der Ringe" und "Harry Potter" brechen alle Kassenrekorde und ein kleiner italienischer Film und ein Thriller über einen Racheengel ohne Gedächtnis halten die Fahne der Filmkunst aufrecht.

Die Rede ist von Giuseppe Piccionis Film "Nicht von dieser Welt" und Christopher Nolans Film "Memento". Beide sind große Schauspieler-Filme: In "Memento" faszinieren Guy Pearce (LA Confidential) und Carry Anne Moss (Matrix, Chocolat) und in "Nicht von dieser Welt" Silvio Orlando (Zimmer meines Sohnes) und Margherita Buy (Geh wohin dein Herz dich trägt).

Das intellektuelle Highlight der Vorweihnachtszeit setzt ein amerikanischer Film mit dem Titel "Memento". In England und in den USA bereits Kult, hat er durchaus das Zeug, auch bei uns die Nachfolge von Filmen wie "Die üblichen Verdächtigen" oder "Kleine Morde unter Freunden" anzutreten. Der ungewöhnliche Plot des Films dürfte teilweise bereits Freunden des Tom-Tykwer-Films "Winterschläfer" bekannt sein, von dem sich Regisseur Christopher Nolan ausdrücklich hat inspirieren lassen.
Ein Mann verliert bei einem Überfall auf seine Frau sein Kurzzeitgedächtnis. Alles, was er behalten will, muss er fotografieren und durch Beschriftung miteinander verbinden. Alles, auch, dass er seine Frau rächen will. Vor jeder Handlung muss er sich das Foto-Puzzle seiner Erinnerungs-Sammlung neu zusammensetzten: Wer ist Freund - wer ist Feind? Und wer spielt nur mit ihm, um den erinnerungslosen Rächer als Werkzeug zu missbrauchen?
"Memento" ist ein hoch spannender Thriller. Aber gleichzeitig auch die intellektuelle Herausforderung des Monats. Selten wurden so vermeintliche Konstanten wie Wahrnehmung und Erinnerung so tiefgreifend im Kino hinterfragt.


"Nicht von dieser Welt" ist eine fesselnde Gradwanderung zwischen Drama und Komödie, die zum stärksten gehört, was das italienische Kino zur Zeit zu bieten hat.

Giuseppe Piccionis Film ist ein "Kinowunder" aus Italien, das etwas im Alltag der Menschen aufbrechen kann. Eine Geschichte über normale Menschen einer Großstadt, gefangen in ihrer kleinen Welt, die durch den Fund eines Kindes und die Suche nach seiner Mutter noch einmal mit dem Leben konfrontiert werden. Eine Suche, die ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellen wird, und ihnen eine zweite Chance gibt, die bemerkenswertesten Menschen der Welt zu treffen - sich selbst.

Mailand, heute. Caterina ist eine junge Frau, die sich für ein Leben als Ordensschwester entschieden hat. Ernesto betreibt eine Wäscherei und hat sich von seinem Alltag vollständig absorbieren lassen. Teresa ist eine junge Frau, die nicht weiß, wo sie hin soll und einen Platz zum Schlafen sucht. Gabriele ist ein Polizist, der seinen Beruf ernst nimmt.
Niemand kennt sich, doch das Schicksal führt sie zusammen, als Caterina im Park ein ausgesetztes Baby findet und sich auf die Suche nach der Mutter macht. Auf einmal wird Caterina, die glaubte ihr Leben und ihre Zukunft fest im Griff zu haben, mit einer ihr bis dahin unbekannten Seite ihrer Persönlichkeit konfrontiert. Ernesto wird durch Caterinas Nachforschungen aus seiner Lethargie geweckt und beginnt zu fürchten und zu hoffen, dass er der Vater des Kindes sein könnte. Teresa hat einige Geheimnisse und gute Gründe, sie für sich zu behalten. Und der ordnungsliebende Gabriele darf von all dem nichts erfahren.

Giuseppe Piccionis "Nicht von dieser Welt" ist ein faszinierender Großstadtfilm, der dank einer wunderbaren Symbiose von außergewöhnlicher emotionaler Kraft und komödiantischer Leichtigkeit nach "Das Leben ist schön" zum besten italienischen Film des Jahres 1999 gewählt wurde. (La Repubblica, 17.06.1999) Mit den charismatischen Hauptdarstellern Margherita Buy (Caterina) und Silvio Orlando (Ernesto) durchlebt man ein intensives Wechselbad der Gefühle. In Italien begeisterte "Nicht von dieser Welt" sein Publikum und tut dies nun auch bei uns.


"Nicht von dieser Welt" gewann nach "La vita è bella" die meisten italienischen Filmpreise: allein fünf für David di Donatello u.a. Bester Film, Beste Hauptdarstellerin, Bestes Drehbuch, Hauptpreise der internationalen Filmfestivals von Montreal und Chicago, Haupt- und Publikumspreis des internationalen Filmfestivals von Los Angeles. Außerdem war er im Frühjahr 2000 Italiens Nominierung für den Oscar als ‚Bester nicht englischsprachiger Film'.


Neben "Memento" und "Nicht von dieser Welt" haben sich aber noch eine Reihe anderer sehenswerter Filme über den Jahreswechsel gerettet

So beweist Woody Allen in seinem neuen Film "Im Bann des Jade-Skorpions" das die einsamen Detektive der klassischen Hollywood-Detektivfilme wie "Der Malteser Falke" nur auf der Suche nach sich selber waren.
Was auf den ersten Blick wie oberflächlicher Slapstick aussieht ist, etwas eingehender betrachtet, wie immer bei Woody Allen, leichtzüngige Dekonstruktion eines ganzen Filmgenres.

Auch die französische Komödie "Ein Mann sieht rosa" bezieht sich zu mindestens vom Titel her auf einen alten Charles Bronson-Klassiker. Allerdings zeigt hier Daniel Auteil neben Gérard Depardieu, dass er nicht der große Rächer ist, sondern ein beeindruckender Komödiant.


3. Musik: "Always Getting Over You" Angela Ammons (Soundtrack: American Pie 2)


"Nirgendwo in Afrika" von Caroline Link
Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Stefanie Zweig.

"Nirgendwo in Afrika" ist ein außergewöhnlicher Afrika-Film, der sich durch eine fast ethnographisch genaue Beobachtungsgabe angenehm von bekannten Hollywood Ästhetisierungen unterscheidet. Nach "Jenseits der Stille" und der Erich-Kästner-Verfilmung "Pünktchen und Anton" der neue Film von Caroline Link. Sie ist neben Doris Dörrie die einzige deutsche Regisseurin, die zur Zeit regelmäßig größere Filme produziert und alleine das rechtfertigt schon sich für den Film zu interessieren.
Caroline Links Film ist in vielerlei Hinsicht ein Wagnis.
In Stefanie Zweigs autobiographischem Roman "Nirgendwo in Afrika" berichtet die Autorin vom Schicksal einer deutsch-jüdischen Flüchtlingsfamilie, die während der Judenverfolgung durch die Nazis auf einer Farm in Kenia ein neues Zuhause findet. Während im Buch die Autorin als junges Mädchen im Mittelpunkt steht, konzentriert sich die wesentlich erwachsenere Verfilmung des Stoffes auf die Entwicklung der Mutterfigur Jettel: Sie entwickelt sich in Afrika nach erheblichen Eingewöhnungsschwierigkeiten von der ‚höheren Tochter' zu einer mit beiden Beinen auf dem Boden stehenden Farmersfrau. Caroline Links Interesse gilt darüber hinaus auch der Beziehung der Eltern untereinander: Sie müssen ihre Liebe, die ihnen durch die Flucht aus Deutschland abhanden gekommen ist, in Afrika erst neu lernen.
Caroline Link versucht sich in "Nirgendwo in Afrika" von ihren Kinder- und Jugend-zentrierten früheren Filmen zu einem Erwachsenen-Film zu entwickeln. Das ist ihr in beeindruckender Weise gelungen.


"Apocalypse Now Redux" von Francis Ford Coppola.

Eine ganz andere, fast schon klassische, weil 22 Jahre alte Literatur-Verfilmung von Josef Conrads großem Afrika Roman "Das Herz der Finsternis" kommt im Januar endlich auch in die Bonner Kinos.
Der Film ist Legende: Die Rede ist von "Apocalypse Now". Das große Epos von Francis Ford Coppola kommt jetzt in einer neuen, deutlich längeren Fassung in die Kinos. Der Film wurde im Mai 1979 auf Drängen seiner Produzenten in einer vorläufigen, auf zweieinhalb Stunden gekürzten Rohschnitt-Fassung auf dem Filmfestival von Cannes gezeigt und gewann sofort die Goldene Palme. Durch diesen Erfolg kam er dann sofort nach dem Festival in der prämierten Fassung weltweit in die Kinos. Für Coppola war der Film aber damals noch nicht fertig, und wenn man sich heute die um gut 40 Minuten längere Redux-Fassung ansieht, weiß man auch warum.
Die kurze Fassung zeigt den Vietnamkrieg als einen Ort, an dem die Grundfesten des Menschseins untergraben werden und an dem folglich alle verrückt werden. Die Langfassung dagegen ist nun ergänzt mit Blicken über den Tellerrand des Vietnamkriegs hinaus. Durch die Konfrontation mit dem französischen Kolonialismus in Indochina macht der Film erst deutlich, welche tiefen Spuren der Kolonialismus, um den es ja auch in Conrads Roman geht, in der Welt hinterlassen hat, und dass wir auch heute in einer Welt leben, die sich durch eine Abfolge von Kriegen charakterisieren lässt.
"Apocalypse Now Redux" macht deutlich, dass die Menschheit in einer Welt des Krieges lebt, solange auch nur ein einzelner denkt, es sei so. Das hat auch der 11. September eindrücklich ins Gedächtnis zurückgerufen.

4. Musik "Summer" Yo la tengo (Album: Fakebook)

"Mulholland Drive" von David Lynch

Der Januar ist voller Kino-Höhepunkte. Einer davon ist sicherlich der neue Film von David Lynch ("Blue Velvet", "Wilde at Heart", "Lost Highway", "Straight Story"), der seit Anfang Januar in den Bonner Kinos läuft. Über den scheiden sich aber noch die Geister.
"Mulholland Drive", genannt nach einer Straße, die von Hollywood aus in die Berge führt, ist eine harte Nuss auch für die eingeschworene Lynch-Gemeinde. Dennoch, wer sich an die ‚Begrifflichkeiten' oder ‚Bildwelten' hält, die sich Lynch in seinen frühen Filmen wie "Lost Highway" und "Twin Peaks" erarbeitet hat, wird keine großen Probleme haben. Und wer sich nicht erinnert, dem sei hier einfach etwas vom Inhalt erzählt. "Mulholland Drive" ist eine bittere Satire auf die Medienwelt und auf das Filmgeschäft. Anhand von zwei Schauspielerinnen, von denen eine nach einem Unfall auf besagter Straße ohne Gedächtnis ist, führt Lynch vor, wie leicht Identitäten verloren gehen, wenn sie aus beruflichen Gründen zu oft getauscht werden.
Gewöhnungsbedürftig, aber aus "Lost Highway" bekannt, ist, dass die beiden Figuren ähnlich wie in "Face off" von John Woo dann tatsächlich die Identitäten tauschen, was anders als in "Face off" unangekündigt für große Verwirrung sorgen kann.
Vor allem aber ist "Mulholland Drive" wieder ein düsterer und mysteriöser Thriller, in dem eine von den Menschen heraufbeschworene dämonische Macht schon längst die Fäden in die Hand genommen hat, auch wenn einige Filmstudio-Bosse meinen, sie hätten noch alles unter Kontrolle.


"Italienisch für Anfänger" von Lone Scherfig

Der schönste Film des neuen Monats, neben "Nicht von dieser Welt" natürlich, heißt "Italienisch für Anfänger". Er tut vom Titel her so, als ob er aus Italien käme, ist aber ein dänisches Produkt und obendrein auch noch ein nach Lars von Triers Filmästhetik gedrehter sogenannter "Dogma-Film". Aber keine Angst vor komplizierten Begriffen, denken sie zum Beispiel an "Mifune" - diese neuen dänischen Filme können famos unterhalten und haben oft fantastische Schauspieler.
"Italienisch für Anfänger" war der Publikums- und Kritiker-Liebling der letzten Berlinale und hat einen Silbernen Bären gewonnen. Warum?

"Italienisch für Anfänger" ist ein Film über die - nennen wir es - "Italienischen Momente" des Lebens. Das ist natürlich eine Metapher und am ehesten gemeint sind Momente von auffälliger Leichtigkeit, in denen man die Last des Alltags für kurze Zeit vergessen kann. "Italienisch für Anfänger" das sind 118 Minuten "Italienische Momente" ob wohl man sie hier im Traum nicht erwarten würde. "Italienisch für Anfänger" spielt in einem tristen Vorort von Kopenhagen, es ist Winter und alle Figuren des Films haben wirklich nichts zu lachen. Der junge Pastor Andreas, die Friseuse Karen, die Verkäuferin Olympia, der Hotelportier Jorgen und der Restaurant-Manager Hal-Finn, sind alle einsame Großstadt-Singles, werden von ihrem Alltag und von verschiedenen Schicksalsschlägen gebeutelt. Nur in einem Italienisch-Kurs der Volkshochschule finden sie etwas Geborgenheit und mediterrane Wärme.
Am Ende des Films wird sich diese Wärme in ihrem Alltag verbreiten und ihn heller machen. Aber wie es dazu kommt, ist eigentlich ein Wunder, das den Kinozuschauer in größeres Erstaunen versetzt und besser unterhält, als alle "Harry Potter"- und "Herr der Ringe"-Spezialeffekte und (Alb-)Traumgestalten zusammen.
Die "Italienisch für Anfänger" zum Publikumsliebling machende Sensation - für die Zuschauer und für die Figuren des dänischen Alltagsdramas - ist, dass die Protagonisten durch ihre Verknöcherungen hindurch wieder anfangen miteinander zu reden. "Italienisch für Anfänger" zeigt einen gesellschaftlichen Tauprozess, bei dem das Vokabeltraining in einem höchst improvisierten Italienisch-Kurs für die notwendige Erwärmung sorgt. Er gibt im wahrsten Sinne Hoffnung für das gerade begonnene Jahr.

5. Musik "Wonderwall" Oasis (Album: What's The Story/Morning Glory)
6. Musik "Another Year" K's Choice


Nächste Radio C-Sendung: Dienstag, 12. Februar 2002, 20.00 Uhr

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